geführt von DGESS Präsident Prof. Dr. Timo Brockmeyer
Foto: Helge Henry Branscheidt
TB: Hallo Anne-Sophie Monrad.
ASM: Hallo.
TB: Sie haben als Model für Armani, Gaultier, Lagerfeld und Chanel gearbeitet, waren in Magazinen wie der Elle und der Vogue. Zudem haben Sie öffentlich über Ihre Essstörung gesprochen und ein Buch mit dem Titel "Fashion Victim" geschrieben. Heute sind Sie auch als Ernährungsberaterin tätig und seit kurzem Botschafterin für die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen. Vielen Dank dafür und dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen.
ASM: Gerne.
TB: In früheren Interviews haben Sie erwähnt, dass bei Ihnen Heidi Klum und Germany's Next Topmodel Auslöser für Ihre Essstörung waren. Als Sie dann in die Modelbranche eingestiegen sind, wurden Sie von Agenturen oder Kunden immer wieder aufgefordert, dünn zu sein. Der Hüftumfang musste immer unter 90 Zentimetern liegen, egal wie groß man ist. Wenn man diese Anforderungen nicht erfüllt hat, dann hat man weniger Aufträge bekommen. Das hat dazu beigetragen, dass sich bei Ihnen eine Anorexia nervosa entwickelt hat, in deren Rahmen 6 Jahre lang Ihre Periode ausgeblieben ist. Irgendwann haben Sie von Ihrer Frauenärztin gesagt bekommen, dass Sie mit 40 Jahren im Rollstuhl sitzen werden, wenn Sie so weiter machen. War das der Wendepunkt für Sie?
ASM: Ich wusste immer schon, dass es nicht gesund ist, was ich mache. Aber immer, wenn ich stark abgenommen hatte und die Periode ausblieb, war das für mich ein Zeichen, dass ich "in shape" bin. In der Branche war das super, dann hieß es, ich war richtig dünn. Persönlich wusste ich natürlich, dass das nicht gut ist. Ich wusste, dass das alles ungesund ist, was ich mache. Aber dadurch, dass ich dann so erfolgreich war und auch dadurch, dass ich das von anderen Models vorgelebt bekommen habe, war die Branche sozusagen die beste Freundin der Essstörung, je dünner, desto besser. Als meine Frauenärztin mich dann gewarnt und mir mit einem ernsten Blick gesagt hat, jetzt müssen Sie was machen, dachte ich, okay, die hat ja recht und ich weiß das auch. Aber ich habe noch ein bisschen mitgespielt. So ein Jahr lang, würde ich sagen, habe ich die Pille genommen, um eben Hormone zu haben. Aber dann sind verschiedene Krankheitsfälle unter Freundinnen in der Branche passiert. Eine Kollegin ist sehr krank geworden und da meinten die Ärzte, wir können von Glück sprechen, sie hätte das Ganze beinahe nicht überlebt. Und das war für mich so ein Moment, in dem ich dachte, das ist doch total krank, was ich hier mache. Ich nehme jetzt irgendwelche Hormone, um diesem Körperbild zu entsprechen und um der Welt zu zeigen, ich bin ja so gesund. Man sagt ja auch immer, Models ernähren sich so gesund, das ist totaler Quatsch. Und das war für mich so der Moment, in dem ich gesagt habe, nee, ich möchte keine Tabletten mehr nehmen. Und dann habe ich wirklich von einem Tag auf den anderen gesagt, ich höre damit auf, ich möchte gesund werden. Ich glaube, ich wusste da noch nicht, wie schwer das wird, aber der Wille war da. Und das war wirklich so ein Gedanke, nein, das mache ich jetzt nicht mehr mit, so wie ihr das wollt.
TB: Okay, verstehe. Es gab da also ein Beispiel in ihrem näheren Umfeld, wo jemand wirklich dem Tod nochmal knapp von der Schippe gesprungen ist.
ASM: Genau, ja.
TB: Dadurch ist Ihnen dann bewusst geworden, nein, das kann echt nicht sein.
ASM: Ja.
TB: Es gab ja auch vorher schon solche Fälle, kennen Sie vielleicht die Ramos-Zwillinge, die beiden Models, die vermutlich an den Folgen einer Anorexie gestorben sind? Ich frage mich, ob so etwas bekannt war unter Models und wie darüber gedacht wurde.
ASM: Nein, man ist da echt in so einer Gruppe, wo man sich gegenseitig antreibt. Die Agentur, erwachsene Menschen, denen Du vertraust, belohnen dich ja damit, dass du extrem dünn bist. Und als ich die Agentur darauf hingewiesen habe, dass ich meine Periode nicht mehr bekomme, da haben die gesagt, das wäre normal. Sowas wird alles normalisiert. Und man ist dann ja auch wirklich in seiner Bubble. Man bekommt das auch gar nicht mehr von außen mit. Aber wenn man dann zum Beispiel bei Familienfeiern ist, natürlich weiß man dann, okay, ich ernähre mich anders als die anderen oder das ist jetzt nicht normal, was ich hier mache.
TB: Sie haben gerade gesagt, Sie sind dann in Ihrer Bubble gewesen. Es war ja dann vermutlich wirklich so, dass Sie ständig unterwegs waren, in Model WGs gewohnt haben und dadurch raus waren aus Ihrem normalen sozialen Kontext, oder?
ASM: Ja, genau. Auch die Partys, zu denen ich dann hingegangen bin, was dann auch durch die Essstörung weniger geworden ist, weil ich dann immer Panik bekommen habe, wenn zu viel Essen da war, da war ich dann eben auch immer mit den Models und dann haben wir natürlich geguckt, was die andere jetzt isst. Es war in der ganzen Zeit ein ständiges Vergleichen und wenn ich dann mal zuhause war und das dann auch ein besonderes Event war, dann habe ich diesen Binge-Moment gehabt und alles gegessen und alle haben sich gewundert, wie kann die so dünn sein? Die isst ja alles. Und damit habe ich die anderen und mich selbst ja auf den Arm genommen, weil ich ja wusste, dass es nicht richtig ist. Aber ich wollte nicht, dass die anderen sich wieder Sorgen machen.
TB: Ja, verständlich. Ein ehemaliger Herausgeber von einer Modezeitschrift hat mal auf einem Kongress für Essstörungen ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert und erzählt, wie Fotos von Models manipuliert worden sind, damit es so aussieht, wie es eben aussehen soll. Zum Beispiel, dass auch überschüssiges Fett am Rücken zusammengeklammert wird, damit es von vorne straffer aussieht. Oder dass tatsächlich teilweise Fotos genommen worden sind, wo dann Körperteile von unterschiedlichen Frauen zusammengefügt wurden zu einem Körper. Da gibt es jetzt natürlich mit KI nochmal ganz andere Möglichkeiten. Haben Sie ähnliches auch erlebt, wo also offensichtlich manipuliert wurde in eine Richtung, bei der klar ist, dass so kein echter Körper aussehen kann?
ASM: Ja, total häufig, eigentlich bei allen Strecken für Modemagazine. Natürlich wird alles total extrem gefotoshoppt. Ich habe sehr viele Muttermale, die sind dann immer verschwunden auf den Bildern. Abgesehen davon sind auch manchmal die Beine so gewesen, dass ich mir dachte, so habe ich doch gar nicht gesessen. Das sieht irgendwie ganz anders aus. Auch die Haut ist immer komplett weich, da ist keine Delle zu sehen. Man ist so eine Art Schablone und daraus wird dann etwas gemacht. Und dadurch, dass man so viel machen kann, ist es ja noch absurder, dass man so dünn sein muss. Auch bei Online-Shops oder Katalogen wird häufig die Klamotte dann nochmal geklammert am Rücken, genau wie sie eben beschrieben haben, also so, dass es enger ist. Und wenn du als Model doch mal zu dünn bist, musst du was unterziehen oder kriegst dann wieder einen Po, weil der dann doch zu klein ist. Also es passt eigentlich nie und man ist die ganze Zeit mit seinem Körper beschäftigt.
TB: Und da gibt es dann so falsche Pos, die schon bereit liegen?
ASM: Ja, wie Radlerhosen, mit so einem Polster drin.
TB: Aber das findet eben alles auch in der Bubble statt, wie Sie vorhin gesagt haben, wo das alles normalisiert wird. Und man möchte natürlich weiter Erfolg haben, man möchte weiter Anerkennung haben. Alle um einen herum sagen, das ist eben so. Und dann bleibt man irgendwie darin verhaftet.
ASM: Ja, genau.
TB: Es gibt ja Zahlen, dass die meisten Models dünner sind als circa 98 Prozent aller Frauen in der Bevölkerung und dass die meisten Models 20 Prozent unter ihrem Idealgewicht liegen. Es gab auch, das ist jetzt schon über 30 Jahre her, mal eine kuriose Studie, in der untersucht wurde, ob Schaufensterpuppen, wenn sie echte Frauen wären, menstruieren und Kinder bekommen könnten, mit dem Ergebnis, dass es sehr wahrscheinlich nicht möglich wäre. Dabei wurde auch aufgezeigt, dass Schaufensterpuppen von 1925 ganz andere Umfänge an der Hüfte und an den Oberschenkeln hatten, woran man auch nochmal sieht, wie das Schönheitsideal dem Zeitgeist unterliegt. Und was viele sich von außen betrachtet nicht so vorstellen können, ist, dass man sich, wenn man so dünn ist, trotzdem als zu dick wahrnimmt. Diese verzerrte Sichtweise ist für viele schwer einfühlbar. Können Sie das mal näher beschreiben, wie Sie sich selbst gesehen haben?
ASM: Also, wenn ich jetzt auf die Bilder schaue, muss ich sagen, ich habe mich nie so gefühlt, wie ich da aussehe, so dünn, ich habe es nie gesehen. Und es war immer ein ganz großer Vergleichsmodus, es hieß immer, schau mal die an oder guck die mal an. Wir hatten ja diese Maße, die wir erfüllen mussten und wenn die okay waren und dann immer so ein leichtes Hungergefühl da war, dann habe ich mich irgendwie dünn gefühlt. Zu satt zum Shooting zu gehen, war für mich nicht gut. Ich habe mich eher dünn gesehen, wenn ich ein Hungergefühl hatte. Obwohl ich genau den gleichen Körper hatte, wenn ich satt war. Das war total verzerrt, absolut total verzerrt. Auch auf den Fotos danach, relativ häufig habe ich die meinem Bruder geschickt und gesagt, guck mal, bin ich da jetzt irgendwie dicker? Ich habe es selbst einfach nicht mehr gesehen, was rückblickend total erschreckend ist.
TB: Wenn Sie jetzt heute einen Brief an Ihren damaligen Körper schreiben würden, was würde da drinstehen?
ASM: Ich war so brutal zu meinem Körper, ich bin wirklich froh, dass es mir wieder so gut geht. Es würde drinstehen, dass ich sofort damit aufhören muss, wenn ich noch länger auf der Welt sein möchte. Und dass es wirklich lebensgefährlich ist, was ich hier mache und es auch ganz anders ausgehen kann. Und, dass ich ja auch in einer Rolle war, in der ich andere da mit reingezogen habe. Das ist ja nochmal ein zusätzlicher Punkt, ich habe ja gar nicht nur mich gefährdet, sondern auch andere. Erst recht mit social media, ich habe ja Videos gezeigt, wie ich beim Sport war und solche Sachen. Und damit hatte ich ja auch eine Verantwortung anderen gegenüber. Also, ich würde in den Brief schreiben: jetzt hör sofort damit auf. Du bist doch zu klug für sowas, das kann doch nicht sein. Meine Mutter hat auch immer gesagt, ich hab dich gesund zur Welt gebracht und diese Industrie macht dich so kaputt. Damit meint sie nicht, dass die Industrie allein daran schuld ist, aber die hat das natürlich total gefördert.
TB: Viele Leute denken ja, dass sich ganz viel gebessert hat in dem Bereich durch Bewegungen wie Body Positivity und Body Neutrality. Jetzt gab es allerdings den Vogue Business Report letztes Jahr, in dem stand, dass 95 Prozent der Models in den letzten 208 großen Shows Size Zero trugen und 8 Prozent Plus Size, wobei man sich da manchmal fragen kann, ob das wirklich Plus Size ist oder einfach Normal Size. Wie sehen Sie das denn, diese Bewegungen hin zu Normalität?
ASM: Das ist wieder total zurückgegangen. Es gibt diese Plus Size, aber das ist dann ja auch wieder so eine Frage, wenn das jetzt zu sehr Plus Size ist, wie gesund ist das wiederum? Dass überhaupt der Körper bewertet wird auf dem Laufsteg, ist total schwierig. Ich sehe da aber insgesamt überhaupt keine Veränderung. Wenn man heute anfängt als Model und in die Agenturen geht und noch jung ist und zum ersten Mal diese ganzen Shows machen soll, dann sind immer noch diese Standardforderungen da, dass man eben einen Hüftumfang von weniger als 90 haben muss und so weiter.
TB: Okay, und dieses Ultraschlankheitsideal, das ist ja evolutionsbiologisch eigentlich nicht sehr sinnvoll. Es ist ja eigentlich gegen den Selbsterhaltungstrieb ausgerichtet. Woher meinen Sie, kommt das denn überhaupt? Also, wie kam das Ultraschlankheitsideal eigentlich auf die Welt?
ASM: Also erstmal sind das ja immer ganz, ganz junge Menschen, die anfangen zu modeln und da hat man oft auch noch keine Brust und keine Hüfte, das hat sich noch gar nicht entwickelt. Es hat, glaube ich, etwas mit ewiger Jugend zu tun, und damit, dass es etwas besonderes ist, sowas zu erreichen. Wobei ja auch die Menschen, die sich die Kleidung kaufen können, in der Regel überhaupt nicht diese Figur haben, die da auf dem Laufsteg zu sehen ist. Das ist auch wieder so eine Fantasie. Ich kann es mir auch nicht erklären, wie das entstanden ist, dieser Trend. Natürlich ist es auch ein totales Machtspiel. Da sind erwachsene Menschen und die wissen ganz genau, es gibt junge Frauen und Männer, die tun genau das, was ich will, für diesen Traum, Model zu sein, weil Modeln immer noch ein glamouröses Leben verspricht, was ja nicht stimmt. Und die wissen ganz genau, die jungen Menschen tun alles dafür, ich habe ja auch alles dafür getan.
TB: Was halten Sie denn von der Hypothese, dass das Schlankheitsideal in der Mode einfach daher rührt, dass man weniger Stoff für einen dünnen Körper braucht, was entsprechend billiger ist?
ASM: Das ist totaler Quatsch. Gerade bei Haute Couture, also bei den Shows in Paris, bei denen die Schneiderkunst gefeiert wird, da heißt es auch immer, die Schneiderinnen müssen das ja alles nähen. Aber man muss da sowieso zu extrem vielen Anproben und ob da jetzt fünf oder zehn Zentimeter mehr zu nähen sind, das ist denen total egal.
TB: Eine andere Hypothese ist ja, und das hört sich äußerst despektierlich an, dass Models mehr oder weniger lebende Kleiderständer sind, dass die Mode eine Kunst ist und dass Kleider einfach besser fallen und besser wirken, je weniger vom Körper zu sehen ist.
ASM: Wobei, wenn jetzt eine Bella Hadid über den Laufsteg geht, gucken ja alle nur Bella an und nicht mehr das Kleid. Dann könnte man ja auch einfach wirklich Kleiderstangen nehmen. Das ist, glaube ich, alles eine Ausrede.
TB: Es gibt dann ja auch noch die Idee, dass das Schlankheitsideal aus einer Entwicklung des Feminismus heraus entstanden ist. Coco Chanel fand, glaube ich, Kleider zum Beispiel beim Reiten unpraktisch und entwarf daher Mode für sportliche weibliche Körper, die sich an Polo-Uniformen für Männer orientierte. Von der Warte aus könnte man vielleicht sagen, ist der Ursprung des Schlankheitsideals zum Teil verstehbar, aber leider wurde es dann vollkommen übertrieben?
ASM: Ja, das könnte sein.
TB: Okay, ist es in Ordnung, wenn wir jetzt noch mal auf Ihre Essstörung zu sprechen kommen?
ASM: Ja, klar.
TB: Okay, ich stelle es mir ein bisschen so vor, dass Sie sich als Model in einem sehr speziellen Kontext bewegt haben, in dem die allgegenwärtigen Prozesse, die mit dem Schlankheitsideal verbunden sind, wie unter einem Brennglas ablaufen. Der ständige Vergleich des eigenen Körpers mit anderen Körpern, die Bewertung davon, die direkte Belohnung von extremem Dünnsein mit Erfolg, Anerkennung, Geld, und umgekehrt eben auch die Bestrafung einer normalen, gesunden Körperform. Und trotzdem entwickelt wahrscheinlich nicht jedes Model und auf jeden Fall nicht jede junge Frau im Allgemeinen eine Essstörung. Zur Entstehung einer Essstörung tragen immer mehrere Faktoren bei, biologische, psychologische und soziale. Haben Sie eine Idee, was bei Ihnen persönlich noch dazu beigetragen hat, neben der Modebranche?
ASM: Also erstmal, wirklich fast jedes Model hat eine Essstörung oder ein gestörtes Essverhalten. Das merke ich jetzt auch immer noch, wenn ich ehemalige Kolleginnen treffe, gerade bei denen, die nicht eine Therapie gemacht haben. Die legen beim Essen immer noch Sachen zur Seite und ich sehe das natürlich sofort. Ich würde sagen, 95 Prozent entwickeln eine Essstörung, weil man wirklich gesagt bekommt, was man essen soll, was nicht und genau wie Sie eben sagten, man wird bestraft dafür, wenn man zunimmt. Wenn ich überlege, ob da irgendwas Persönliches noch zu beigetragen hat, dann würde ich am ehesten sagen, mein Ehrgeiz. Meine Geschwister waren sehr, sehr musikalisch begabt und ich nicht und da spielte mir das gut in die Karten, dass ich mit dem Modeln was erreichen konnte. Und das wollte ich unbedingt und es war etwas, was ich kontrollieren konnte. Das hat schon auch eine Rolle gespielt, dass ich damit meine Aufmerksamkeit bekommen habe.
TB: Also auch eine Art Leistungsstreben oder ein gewisser Perfektionismus, der da eine Rolle gespielt hat?
ASM: Ja, Leistungsstreben würde ich auf jeden Fall sagen, ja.
TB: Aus Studien weiß man auch, dass sich durch Erfahrungen, für sein Äußeres gemobbt oder gehänselt zu werden, das Risiko erhöhen kann, später eine Essstörung zu entwickeln. Gab es bei Ihnen Sachen, wo Sie rückblickend sagen würden, das hat Ihnen vielleicht eine Prägung mitgegeben?
ASM: Ja, schon, das kann ich schon so sagen. Rückblickend war ich nie die Schöne oder so in der Klasse oder in der Schule. Ich war auch eher pummelig als Kind, aber es war jetzt nie so, dass ich gehänselt worden bin. Es gab mir eher so einen Input, jetzt zeige ich euch das, ich kann das und auch als ich Germany's Next Topmodel gesehen habe und gehört habe, die Klum war 19, als sie ihren Modelvertrag bekommen hat, da habe ich auch in mein Tagebuch geschrieben, das schaffe ich auch, ich zeige euch das. Das war dann so meins und das war das, was ich steuern konnte.
TB: Okay, verstehe. Und Sie haben ja dann, wenn ich das richtig verstanden habe, auch eine Psychotherapie begonnen. Würden Sie denn sagen, dass Sie es geschafft haben, die Essstörung zu überwinden oder gibt es noch einen Rest, der Sie noch begleitet?
ASM: Nein, ich habe das gar nicht mehr. Eigentlich bin ich zur Therapie gegangen, weil meine Mutter schwer krank war. Also die Essstörung war erstmal gar nicht der Grund dafür und dann hat sich aber ganz schnell gezeigt, dass es da die Essstörung gibt. Ich dachte dann, ich will das auf jeden Fall loswerden. Ich dachte erst, ich könnte das allein, aber ich hatte dann immer wieder Rückfälle. Und als ich dann die Therapie angefangen habe und da auch ganz offenlegen musste, was ich esse oder was ich als normal empfinde, hatte ich dann erstmal ein totales Schamgefühl. Es war mir total unangenehm, weil ich ja auch wusste, dass es zu wenig war und trotzdem hatte ich ein total schlechtes Gewissen bei jedem Stück Schokolade oder Brot. Aber jetzt ist es so, dass ich überhaupt nicht darüber nachdenke und total intuitiv esse und auch spontan Essen gehen kann. Das ist für mich eine riesige Erleichterung, dass ich nicht mehr diese Gedanken habe und es war für mich die beste Entscheidung, diese Therapie zu machen. Vorher hat diese Stimme der Essstörung mich einfach total gesteuert, in meinem ganzen Alltag, die ganze Zeit. Und das habe ich jetzt wirklich gar nicht mehr. Was ich aber merke, ist, wenn andere das haben, dann sehe ich es sofort, also ein gestörtes Essverhalten, und das finde ich dann immer traurig. Wie gesagt, Freundinnen von mir, die keine Therapie gemacht haben, wenn die dann ihr Essen dokumentieren oder wenn ich einfach sehe, was die im Restaurant bestellen, dann denke ich, mach das doch einfach nicht.
TB: Toll, dass Sie das überwinden konnten. Es ist natürlich immer schwer, so einen komplexen Prozess kurz mal zusammenzufassen, aber gibt es irgendetwas, von dem Sie sagen würden, das waren vielleicht Elemente, die besonders geholfen haben im Rahmen der Therapie?
ASM: Also was ich immer total hilfreich fand, war, dass ich mit meiner Essstörung sprechen sollte und die nicht mehr als Freundin sehen sollte, sondern als Feindin. Und das hat mir total geholfen, also immer wenn die Stimme der Essstörung auftauchte, dass ich sage, lass mich in Ruhe, ich bin stärker als du. Und ich wollte das einfach unbedingt, also ich glaube, dieser Wille da irgendwie rauszukommen war dann irgendwann stärker als die Stimme. Und ich hatte dann auch wirklich Abstand zur Industrie, ich hatte da ja keinen Kontakt mehr.
TB: Verstehe. Darf ich noch drei Fragen zum Abschluss stellen?
ASM: Klar.
TB: Okay, die erste wäre, was oder wer hätte sie vielleicht davor bewahren können, eine Essstörung zu entwickeln, zu dem damaligen Zeitpunkt?
ASM: Ja, das ist eine total spannende Frage, weil ich ja jetzt darüber spreche und hoffe, dass andere junge Frauen es nicht genauso machen wie ich damals. Und ob die jetzt auf mich hören, weiß ich auch nicht. Aber ich glaube tatsächlich, wenn mir das ein erfolgreiches Model gesagt hätte, ey, mach das nicht, dann hätte ich der wahrscheinlich am meisten geglaubt. Obwohl meine Mutter mich vielleicht auch hätte beeinflussen können, schwer zu sagen. Aber ich glaube eher jemand, der erfolgreich ist in der Branche.
TB: Okay, hoffen wir das einige junge Menschen das hier lesen und sich zu Herzen nehmen. Vorletzte Frage: Was würden Sie jemandem sagen, der über eine Person mit Essstörung sagt, die ist so schlank, solche Probleme hätte ich gerne und das hat die sich doch selbst so ausgesucht?
ASM: Ja, richtig schlimm finde ich das. Was würde ich zu der Person sagen? Es ist ja ein Kampf, den ganzen Tag, man denkt über nichts anderes mehr nach und hat unglaublich viele Probleme dadurch. Gott, ich weiß nicht, was ich der Person sagen würde. Aber das ist ja eine Haltung, als wäre das sozusagen ein selbstgewähltes Schicksal und als wäre das ja eigentlich was tolles und kein Problem, dass man so dünn ist. Dabei ist das wirklich eine Krankheit, da kann man keine Jokes machen. Und ich glaube, durch solche Sprüche, von wegen "solche Probleme hätte ich gerne", verstärken so eine Krankheit noch mehr. Also, ich glaube, ich würde, wenn jemand so was sagen würde, richtig aggressiv und sauer werden.
TB: Absolut verständlich. Und nun die allerletzte Frage: Was würden Sie heute einem schlanken 17-jährigen Mädchen sagen, was sich bei GNTM beworben hat, davon träumt, ein Model zu werden und unter dem Eindruck steht, sie sei zu dick?
ASM: Ich würde sofort sagen, geh da raus, mach das nicht. Gut, darauf wird sie vielleicht nicht hören. Zumindest wenn das Essverhalten schon gestört ist, dann ist das sowieso total schwierig. Ich würde aber immer raten, dass der Körper erstmal wirklich richtig wachsen und ausreifen soll. Und man kann ja Sport machen, das ist ja auch gesund und gut und gesunde Ernährung auch, aber man sollte wirklich niemals für irgendjemanden in der Branche oder sowieso für niemanden seinen Körper verändern. Das ist total falsch und das machen die ja täglich, die müssen die ganze Zeit Anpassungen an ihrem Körper vornehmen. Wenn jemand dich nicht so akzeptiert, wie du bist, dann hat er Pech gehabt.
TB: Vielen Dank!
ASM: Sehr gerne.